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Ulrike Lorenz Ausstellung FREMDE HEIMAT Kunst in Baden-Württemberg  Kunsthalle Mannheim

.... Es ist ja auch nicht einfach: In diese weite oberschwäbische Landschaft hineingeboren sein und dann sehen, dass das nicht ausreicht. Sich durch

Fluchten ins Gegenteil einen biografischen Spannungsbogen aufbauen und dabei feststellen, dass es zu Kurzschlüssen kommt. In dieser brenzligen Situation schlagartige Einfälle zu brachialen Aussagen verdichten und diese in den Kunstkontext einschleusen. Testen, was passiert - es passiert

erstmal wenig … und ungerührt weitermachen.

 

Oliver arbeitet werktags alte Baumstämme auf dem verwaisten Bauernhofseiner Kindheit durch. Das weiche Pappelholz mit der markanten Struktur ist ihm Basis für seiner erstaunliche Neigung zu bild- und wortgewaltigen Widersprüchen. Denn wo er es nicht in befremdlichen Formen zwingt oder ihm unvereinbare Buchstaben einer Fremdsprache einfräst, da verschleiert er das heimische Holz mit schrill schillernden Epoxidharzen, die ein eindeutig unheimeliges Klima verströmen. Ganze Büsche und Wurzelmassive gehen abenteuerliche Verbindungen mit Spiegelsplittern, Baustahlstrukturen und Schaumharztropfburgen ein. Ganz zu schweigen von den klebrigen Silikonoberflächen auf Großbuchstaben, die abwegige Wortkonglomerate bilden und sich wie die Katze in den Schwanz beißen. Diese unversehens gestaltgewordenen Antagonismen aus Natur und Kultur, Bild und Text, Nähe und Ferne beleben als Komplizen das Wechselspiel mit anderen Hybriden aus der Werkstatt des Künstlers und werden zu skulpturalen Objekten, die in ihrem zweifelsfreien So-Sein nicht auf den decodierenden Intellekt zielen, sondern dorthin, wo knapp über der Gürtellinie das Zentrum der einfühlenden Irritation sitzt.

 

Ohne Zweifel, hier gewinnt Einer der Bildhauerei neue Nuancen hinzu, ohne sich dabei vom Kern der Sache und einigen Erkenntnissen des 20.-Jahrhunderts zu verabschieden. Volumen, Material, Textur – das bleiben die Grundlagen der Formbildung. In sie hinein werden Alltagsbegriffe und Gebrauchsdinge verschoben; Sprache als Material trifft hinzu. Aufgemischt aber wird das durch eine eigensinnige Fabulierlust, die alles umprägt und quer wuchern lässt, was ihr aus der Welt entgegenkommt. So formt sich im Ureigenen eine fremde Ordnung, die zu einer anderen Geschichte wird.

 

Ulrike Lorenz

Kunsthalle Mannheim


Nikolaus Bischoff Ausstellung FRIENDLY FIRE  (mit Astrid Hohorst)  Waschhaus Potsdam

....Grundsätzliches verhandelt auch Oliver Braig in seiner Kunst.

'Body auf Weight' eine zweiteilige Skulptur, zeigt die Gesichter einer Frau und eines Mannes, bzw. zeigt sie eben nicht. Die Gesichter sind leer, lediglich die Frisuren weisen darauf hin, dass es sich um einen Mann und eine Frau handelt. Erstaunlich wie man als Betrachter die sich bietenden Leerstellen zu füllen beginnt mit eigenen Vorstellungen. Die eigene Identität wird hier zum Thema, das Verhältnis der Geschlechter sowie zwischen Individuum und Gesellschaft. Mir fallen dazu sofort Erika und Max Mustermann ein, die seit den 70er Jahren als Platzhalter für die deutsche Fru, den deutschen Mann herhalten müssen. Stereotypen, die im Alltag in der Gesellschaft, in der Werbung reproduziert werden. nimmt Braig hier aufs Korn.

Auf den ersten Blick, sehr direkt funktionieren Braigs Schriftarbeiten: 'YOUASAHOLE'. Der im Kreis angeordnete Schriftzug lässt sich nicht auf Anhieb entziffern und führt uns so auf eine falsche Fährte. Da das menschliche Gehirn zur Vereinfachung neigt, fühlen wir uns sofort aufs Schlimmste beleidigt. Bei näherem Hinsehen entdecken wir das überzählige a, welches den Sinn des Satzes in eine ganz andere Richtung verschiebt. Plötzlich bieten sich mehrere Lesearten. Die Verbindung von Western-Typographie mit dem lautmalerisch lesbaren USA öffnet ein weites Feld an Assoziationen.

 

'MAKE ME FEEL' spielt auf der sinnlichen und inhaltlichen Ebene mit der Wahrnehmung des Betrachters. Die Nähe zur Werbung und Werbetexten ist sicherlich kein Zufall. Die Tendenz der Werbung den Kunden emotional an ein Produkt oder eine Marke zu binden greift Braig hier auf. Allerding sind seine Arbeiten entkoppelt von der Funktion etwas zu verkaufen, eine Weltanschauung zu vermitteln oder zu belehren.

 

Die Schriftarbeiten sind Skulpturen Objekte, die Form und Inhalt miteinander kollidieren lassen, so dass etwas entsteht, dass sich nur schwer fassen lässt. Die eindeutige Beziehung zwischen Zeichen und Sinn ist gekappt, so entstehen mehrere unterschiedliche Lesearten.

 

Für Braig hat das Material und die Form dieselbe Wichtigkeit wie der lesbare Inhalt. Anders als beim Konzeptkünstler Joseph Kosuth, der in 'One and three Chairs' einen Stuhl, das Bild eines Stuhls und die lexikalische Definition eines Stuhls nebeneinanderstellt und damit die verschiedenen Modi von Information voneinander trennt - verschaltet Braig die unterschiedlichen Ebenen wieder und schafft damit ein komplexes Netz der Bezüge.

 

Vielleicht zeigt sich hier eben auch ganz deutlich der Unterschied zwischen der Weltsicht der Moderne, dessen radikalste Form die Konzeptkunst war und der heutigen durch Postmoderne und Unübersichtlichkeit der Welt geprägten Generation zeitgenössischer Künstler.

 

Kosuth legte sein Augenmerk auf die Sprache auf die Idee - das Objekt, das Material war ihm verdächtig. Die Konsequenz war eine Abschottung der Kunst von anderen Einflüssen. Seine Neonschrift Five Words in 'Five Colors' bezeichnet sich selbst. Der Inhalt ist deckungsgleich mit der Erscheinung - ein Tautologie.

 

Ganz anders geht Braig vor. Er lässt eine Lücke. eine Leerstelle offen durch die Widersprüche aufgedeckt werden, die Platz lässt für Interpretationen.

'Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache', schrieb Ludwig Wittgenstein in seinen 'Philosophische Untersuchungen'.

Genau hier setzt Oliver Braig an. Er verschiebt die Bedeutung durch Veränderung der Worte und Erscheinung der Worte. Damit regt er einen Erkenntnisprozess an, der sowohl inhaltlich über die Idee als auch formal über das Material und die Form gesteuert wird. Die geflammte Schrift 'MAKE ME BURN' macht beispielsweise diese Differenz zwischen Inhalt und Form sichtbar. Braigs künstlerische Arbeiten greifen auf verschiedene Systeme zu, wie z.B. Sprache, Natur, Werbung, Gesellschaft und verknüpfen sie lose miteinander. Erst im Betrachter und durch die Assoziationen und Erfahrungen, die der Betrachter mitbringt vervollständigt sich das Werk. Der spielerische Umgang mit Worten, Bedeutungen und Materialien, der sinnliche Reiz der Oberflächen und eine feine Ironie zeichnet das Werk von Oliver Braig aus.

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Nikolaus Bischoff


Stefanie Dathe KUNST OBERSCHWABEN  20. Jahrhundert - 1970 bis heute  MUSUEUM VILLA ROT

.... Das rhetorische Machtgeplänkel zwischen diesen Grundhaltungen kann Oliver Braig (*1969) nicht beeindrucken. Seine #erstaunliche Neigung zu bild- und wortgewaltigen Widersprüchen' (Lorenz 2010) entlädt sich in einer bildhauerischen Auseinandersetzung mit der Bedeutungsmöglichkeit sprachlicher Zeichen, die er einem Fundus hybrider Formsetzungen organischer gegenständlicher Abstammung beziehungsreich gegenüberstellt. Ganz den Mitteln bildhauerischen Gestaltens verpflichtet, schneidet Braig vorzugsweise aus heimatlichem Weichholz Schriftsätze als Textbilder im Reliefrund oder monolithische Buchstabenblöcke. Das gesprochene Wort, in seiner Anwendung oft Stolperfalle zwischenmenschlichen Verhältnisses, wird nun zum plastischen, additiv variablen Material eindrücklich sinnlicher Rauminszenierungen. Ihm stellt Oliver Braig 'durch eine eigensinnige Fabulierlust, die alles umprägt und quer wuchern lässt, was ihr aus der Welt entgegenkommt' (ebd.) Objekte mit Signalcharakter gegenüber, die das Sprachvermögen nicht zu fassen vermag. Im Wechselspiel von Bild und Text, Natur und Kultur, Form und Aussage werden inhaltliche Anliegen bearbeitet, die die Seele einer tabuisierten Sprache der Gewalt berühren: YOUASAHOLE:


Volker Sonntag Ausstellung 'meine worte' Städtische Galerie Ehingen Donau

.... Braigs Werke irritieren zunächst und stimulieren unsere geistige Mitarbeit. Sie schärfen unsere Wahrnehmung, regen zu vielfältigen Assoziationen an und belohnen uns durch ungewöhnliche ästhetische Erlebnisse und Erkenntnisse.
 
Im ersten Raum spüren wir die enorme Energiewirkung von Farbe auf Körper und Gemüt und entdecken überrascht, dass uns unser Gehirn Farben vorspielt, die physikalisch nicht vorhanden sind. Schrifttafeln und weitere Bildtafeln rufen Erinnerungen wach an blindmechanische Schönschreibübungen aus Zeiten, als in dem Gebäude noch Schule gehalten wurde, lassen uns eingefahrene Wahrnehmungsmuster erkennen und führen manchen bis in die Tiefe von Wittgensteins sprachphilosophischen Gedanken.
 
Braigs Werk bieten vor allem großartiges Assoziationsfutter: In einem kinetisch fragilen Gebilde führen Baustahl und eine Wurzel einen ästhetisch reizvollen Dialog und verblüffen – ironisch durch drei kleine Discokugeln aufgebrochen – mit Assoziationen zwischen Technik, Natur, Schwabenland und Japan. Ein hohler Kopf produziert Luft und bewegt eine Feder. Mit Epoxidharz beschichteten Holzobjekten grüßt der heimische Wald und erfreut beim tiefen Blick durch pubertär-freche Anspielungen.
 
Oliver Braig, geboren 1969, lebt heute in Stuttgart und ist auf einem Bauernhof in einem kleinen Dorf in der Nähe von Ehingen aufgewachsen, wo er heute noch sein Atelier hat. Als gelernter Steinbildhauer setzte er sich während seine Studiums an den Kunstakademien Stuttgart und Karlsruhe intensiv mit den Positionen zeitgenössischer Kunst, vor allem der Konzeptkunst, auseinander. Doch die Prägung durch die dörfliche Heimat sei für ihn entscheidend gewesen, betont er. Hier entwickelte er seine handwerkliche Meisterschaft in einem Umfeld, „in dem Kunst so ziemlich das Letzte war, was man brauchte.“ Diese produktiv umgesetzte Spannung zwischen ländlichem Leben und Denkstrukturen und der oft abseitigen Gedankenwelt moderner Kunst lässt seine Werke und auch seine Persönlichkeit aus der Kunstszene unverwechselbar herausragen.
 
Volker Sonntag